Das Leben eines Paket-Schubsers ist kein Pony-Hof. Es sind die unbesungenen Helden des Alltags, nur ganz ohne Super-Kräfte, kein Cape und nicht auch nur den Hauch von Dankbarkeit seitens der Empfänger der unzähligen Pakete. Stattdessen schleppen sie täglich Kartons durch Regen, Hitze und den Wahnsinn des Stadtverkehrs. Wie olympische Speerwerfer buttern sie eure Pakete über den Zaun die punktgenau vor eurer Haustür laden, und das ganz ohne tosenden Applaus. Sie träumen von knackigen Tussis, die in durchsichtigen Kleidern ihnen Tür und Hosen-Tor öffnen und lasziv fragen, ob sie noch schnell einen Kaffee trinken wollen, so wie man es uns eben in vielen Dokumentationen im Interwebz weiß machen möchte, aber stattdessen trifft man auf verschwitzte haarige dicke Männer in versifften Bademänteln, deren üppige Bauchfalte gerade noch so den Schniedel überdecken.
Paketbote sein ist nichts für schwache Nerven und auch in Videospielen ist diese Berufsgruppe ein wenig unter repräsentiert. Zum Glück gibt es nun in Form von Deliver at all Costs Nachschub. Es ist dass perfekte Spiel für alle, die das klassische und sehr chaotische GTA lieben und in einer komplett zerstörbaren Stadt ihr Unheil treiben können, ohne dass man schon nach 3 Sekunden die Polizei auf dem Hals hat, während man seinen Traumberuf als Paketbote nachgeht. Deliver At All Costs wurde vom schwedischen Entwicklerstudio Far Out Games entwickelt. Das Team, bestehend aus ehemaligen Studenten, wollte aus ihrem Studienprojekt endlich ein kommerzielles Spiel machen und so werkelten die Leute 4 Jahre lang bei Wasser und Smöre-Bröd an der Umsetzung. Zudem hatte man ziemliches Dussel, denn niemand anderer als Konami sprang als Publisher ein, um den liebevoll zusammengeklöppelten Titel dann im Mai 2025 für Playstation 5, PC und diese Konsole aus dem Hause Microsoft deren Name niemand wirklich kennt, zu veröffentlichen.

Ich weiß was ihr denkt. Oh bitte nicht schon wieder ein lahmarschiger GTA Klon in Kombination mit langweiligen und sich ständig wiederholenden Aufgaben einer Paket-Schubser-Simulation! Zum Glück kann ich euch beruhigen, denn Deliver At All Costs ist genau das Gegenteil! Es verwandelt den tristen Alltag eines boten in ein brachiales und teils sehr explosives Action-Fest mit unzähligen Slapstick-Einlagen, während man mit seinem kleinen treuen Lieferwagen wirklich alles zu Schrott fahren kann, was einem in den Weg kommt. Und das ganz ohne Konsequenzen, mal abgesehen davon, dass man seine Reifen Platt fahren kann, oder das man mal wieder vom Weg abkommt und an einer Klippe zerschellt.
Was in dem Spiel vor allem ein besonders guter Plus-Punkt ist, ist die wirklich schön ausgearbeitete und mit kleineren, teils längeren Zwischensequenzen erzählte Story. In Deliver At All Costs schlüpft man in die Rolle von Winston. Er ist nicht der geborene Paket-Zusteller. Er nahm den Job eher gezwungenermaßen an, da ihm das nötige Kleingeld für die Miete fehlt. Er ist ein einsamer Mensch, mit einer sehr mysteriösen Vergangenheit, die sich nach und nach entfaltet und man darf sich ebenfalls auf einen Fuchs freuen, weshalb das Spiel nur eure Herzen gewinnen kann. Jedenfalls stolpert er bei seinen täglichen Aufgaben auf eine Verschwörung, während er gleichzeitig gegen die Geister seiner Vergangenheit ankämpfen muss.

Auch wenn die mysteriöse Story ein sehr schönes Beiwerk ist, ist der Kern des Spiels natürlich das Gameplay. Wer hätte das gedacht. Wie erwähnt ist in Deliver At All Costs fast alles vollständig zerstörbar. Also nicht nur irgendwelche Zäune oder Straßenlaternen, sondern auch komplette Gebäude werden in sich zusammenstürzen, wenn man gegen alle wichtigen tragenden Elemente brettert. Und das macht abseits der Missionen einfach unheimlich viel Spaß. Auch auf Fußgänger muss man nicht sonderlich achten, was bedeutet, dass man auch noch jede noch so dringende Lieferung im Nu abschließen wird, da einem Straßen im Prinzip egal sein können. Mal abgesehen von einigen Gütern, die man während einer ruppigen Fahrt verlieren könnte, weshalb man manchmal doch eher vorsichtig über den Asphalt oder Kies-Straßen zuckeln wird.
Eure Handlungen haben dabei absolut keine Konsequenzen. Auch wenn man noch wie die schlimmste Axt im Walde wütet, wird zu keiner Sekunde die Polizei ein Problem darstellen. Sie ist praktisch nicht existent. Stirbt Winston, weil sein Lastwagen mal wieder in die Luft fliegt, oder einen Abhang herunter rauscht oder man seine Lieferung verliert, wirst du dank großzügigen Checkpoint-System schnell wieder zurück ins Leben gerufen. Erleidet der Truck einen Schaden, steigt man schnell aus und repariert das kaputte Rad und führt seine Fahrt fort. Winston und sein Truck sind unaufhaltsam was auf der einen Seite wirklich super ist, aber auf der anderen Seite fehlt hier wirklich eine Herausforderung.
Hier läuft das Spiel dann Gefahr etwas an seinen Reiz zu verlieren. Warum auf Sicherheit im Straßenverkehr achten, wenn einem sowieso nicht passieren kann? Mal von verschwindend Geringen Missionen unter Zeitdruck und der Gefahr entweder die Ladung oder seinen Truck an eine Explosion zu verlieren, besteht absolut kein Grund sich zu stressen. Klar macht es Spaß, dass man alles in Schutt und Asche legen kann, aber ohne Druck und Konsequenzen, wird auch die sinnloseste Zerstörung mit der Zeit etwas fad und bedeutungslos. Es ist dann am Ende wirklich immer das selbe. Winston wacht auf, man fährt zur Arbeit, spricht mit seinen Vorgesetzten oder Kollegen und fährt dann seine Route ab, um dann am Ende wieder nach Hause zu fahren um mit einer weiteren Zwischensequenz die Geschichte voranzutreiben.

Zum Glück gibt es aber einige Missionen, die von dieser langweiligen Formel abweichen und man mit Winston somit einige eher unkonventionellere Aufgaben erledigen wird. Zum Beispiel müssen wir Luftballons ausliefern, doch die schiere Anzahl an mit Helium gefühlten Ballons führt dazu, dass der Lieferwagen kaum noch Schwerkraft hat und mit jedem kleineren Sprung noch einige hundert Meter weit unkontrollierbar über den Asphalt fliegen wird, oder wir müssen einen Marlin ausliefern, der den Pickup Truck dank seiner ruppigen Bewegungen eueren Wagen relativ oft aus dem Gleichgewicht bringen wird, und noch lustiger wird es, wenn man dann die Lastwagen der Konkurrenz verfolgen muss um während der Fahrt deren Lieferung zu klauen, während man von deren Kollegen attackiert wird.
Hier kann das Spiel absolut glänzen und macht riesigen Spaß. Leider sind diese Moment zu rar gesät und zu allem Überfluss gibt es noch einige Missionen, wie etwa das Aufsammeln von von Flugzeugen abgeworfenen Kisten, die ein absurder Schmerz im Hintern sind, wie auch die Fahrt auf den Gipfel eines ausbrechenden Vulkans und das Manövrieren durch nahezu unausweichliche Steinschläge. Und mein größter Hass-Moment im Spiel war der Pseudo-Boss-Kampf gegen Ende des Spiels, in dem man vor einem Laster fliehen muss. Ich weiß nicht, wie oft ich diesen elendigen Kampf wiederholen musste, bis ich ihn endlich überstanden hatte!
Neben der Missionen gibt es noch allerhand anderen Kram, den man optional im Level erledigen kann. Zum einem gibt es versteckte Fahrzeuge zu entdecken, oder die obligatorisch im Level verstreuten Kisten mit etwas Kleingeld, oder Truhen mit Handwerksmaterial und es gibt sogar hier und da einen Bürger in Not, den man aus der Patsche helfen kann. Aber wirklich erfüllend, sind die Nebenaufgaben nicht wirklich. Die versteckten Autos haben zum Beispiel absolut keinen Sinn! Zum einem hat man keine Garage, in der man seine Schätze unterstellen könnte und zum zweiten kann man mit den gefunden Karren auch keine Pakete transportieren. Was einem also bliebt ist der kurze Spaß, dass man mit der neu gefundenen Karre ein wenig Chaos stiftet, bis es einem Langweilig wird. Danach steigt man wieder in seinen Lieferwagen und erfüllt seinen Job. Warum also überhaupt andere Fahrzeuge benutzen?
Ein weiteres Ding das nicht wirklich gut überdacht wurde, sind die Upgrades führ den Laster. Für einige Missionen sind Erweiterungen für euren Wagen nötig, wie etwa einen Kran, eine Seilwinde, oder ein praktisches Paket-Katapult. Teile für Upgrades findet man in den besagten großen Truhen, oder man geht beim Händler auf Shopping-Tour. So kann unser Paket-Schubser mit dem Kram zum Bleistift seine Fracht ein und ausladen, ohne das er aus seinem Lieferwagen aussteigen muss, oder die Fracht von Feinden bei voller Fahrt klauen. Solang es für die Missionen wichtig ist, sind die Upgrades ein lustiger Spaß, abseits der Missionen haben aber alle Erweiterungen absolut keinen Sinn, da sie nicht funktionieren.

Man kann also nicht aus Freude blinder Zerstörungswut seine Seilwinde dazu benutzen, um entweder Fußgänger oder Fahrzeuge daran anzubinden, um sie dann durch die Gegend zu schleifen. Man hatte eine relativ große offene Welt und ausgerechnet hier kann man die lustigsten Upgrades nicht benutzen? Was für ein Käse ist das denn bitte? Damit geht der ganze Spaß doch verloren. Und ich will mich auch gar nicht erst über die großen roten Truhen beschweren, aus der man dann nur ein einziges mickriges Bauteil herausholen kann. Auf der anderen Seite? Warum sich einen Dreck um Upgrades scheren, wenn sie ohnehin komplett unnötig sind?
Was ich auch ein wenig schade finde ist, dass die verfügbaren Level zwar einigermaßen groß sind, aber in verschiedene Unter-Gebiete aufgeteilt sind. Reist man von einem Gebiet zum anderen, muss man relativ lange und unnötige Ladezeiten über sich ergehen lassen und da wir uns auf der Playstation 5 befinden und nicht mehr auf der Playstation 4, frag ich mich ernsthaft, ob man das nicht anders hätte lösen können. Vermutlich musste man für die Xbox Serie Kartoffel einige Abstriche machen, aber das ist reine Spekulation.
Die Grafik ist aber für eine Billig-Produktion relativ ansprechend. Alle Gebäude strotzen voller Details und die Landschaften, seien es idyllische Gebiete am Meer nebst einem Vulkan, oder die Straßen der Großstadt, wirken lebendig und überall gibt es kleine Details, die man mit seinen kleinen Glotzern entdecken kann. Optisch herrscht also absolut keine Langeweile. Etwas abschreckend sind die Designs der Charaktere während der Zwischensequenzen, die eher nach einem The Sims von vor 15 Jahren aussehen. Die starren und schlecht umgesetzten Gesichtsanimationen der Charaktere sind sehr fragwürdig, aber auf der anderen Seite muss man dann doch froh sein, dass es überhaupt voll vertonte Zwischensequenzen gibt und nicht einfache Diashows wie etwa im kürzlich veröffentlichten The Precinct. Deshalb halte ich mich mal mit meiner Kritik etwas zurück.

Vom Sound her darf man sich auf ein Potpourri an schmissigen Jazz und Kaffee-Haus-Musik aus den fünfziger Jahren freuen, die für eine absolut perfekte Stimmung sorgen und niemals langweilig wird, oder einem auf den Keks gehen. Auch die englische Sprachausgabe ist relativ gut gelungen, was eine erfreuliche Überraschung ist. Abgeschmeckt wird der Sound mit den üblichen Verdächtigen an Effekten und in Anbetracht dessen, dass man wie ein irrer durch die Landschaft plagen wird, gibt es allerhand an Geräuschen auf die Lauscher, sodass das monotone Lärm des Motors schon beinahe untergeht. Ich hab nicht viel von Deliver At All Costs erwartet und bin wirklich positiv überrascht, was dieser Titel, der von ein paar Studenten zusammen gebastelt wurde, so alles zu bieten hat. Irgendwie wirkt aber der Hälfte die Story, die Missionen und auch die Zwischensequenzen wie mit der heißen Nadel gestrickt, weil man nach vier Jahren anscheinend hastig die Entwicklung zu einem Ende bringen wollte, aber trotzdem sollte man nicht viel zu meckern haben. Man muss eben nur ein wenig aufpassen, dass man bei der holprig geschriebenen Story mit seinen Wendungen nicht all zu schnell den Faden verliert.
Insgesamt kann man aber sagen, dass der wilde Mix aus chaotischer Zerstörungswut, mit der Simulation eines Paket-Zusteller-Simulators sehr gut funktioniert. Die Missionen sind in der Regel alle fair und bereiten nicht all zu viel Frust und dank der Story bekommt man zudem noch ein wenig Kontext serviert. Trotzdem ist es schade, dass man sehr viel Potenzial verpulvert hat. Eine Amok-Fahrt ohne Konsequenzen mag zwar spaßig sein, bricht aber auf Grund des Fehlens an Regel hart alle Konventionen eines durchdachten und elaborierten Gameplay. Der größte Downer ist eben die große Spielwelt, in der es am Ende nicht wirklich viel zu tun oder zu entdecken gibt und blinde Zerstörung ohne irgendeiner Gefahr ist auch nur zu einem gewissen Punkt lustig, womit man es vermutlich schwer hat, nach der Story wieder in die eigentlich doch sehr schön gestaltete Welt zurückzukehren. Und das ist so furchtbar schade. Wer aber das nicht ganz so eng sieht, wird mit Deliver At All Costs enorm viel Spaß haben und da es nicht mal ein Vollpreis-Titel ist, kann man eigentlich nicht all zu viel falsch machen.